Trotz einhelliger Erkenntnisse aus Psycho-Soziologie und den Arbeitswissenschaften wird auch im 21. Jahrhundert noch in Großraumbüros mit sogar teilweise flexiblen Arbeitsplätzen gearbeitet. So ignorieren viele Unternehmen wider besseren Wissen psychologische Wirkweisen und katapultieren Führungskräfte in die Mitte ihres Teams. Verordnete Ziele sind unter anderem die Förderung der Kommunikation, Steigerung der interpersonellen Kontakte, kürzere Entscheidungswege und WIR-Identifikation. Was räumliche Umbaumaßnahmen und Zwangsumzüge bewirken, weiß ich aus eigener Erfahrung. Mitarbeiter werden situativ in einen pseudo-nahen Kontakt ohne Rückzugsmöglichkeiten, gezwungen. Zudem gibt es durch unbesonnene Kollegen zu viele Arbeitsunterbrechungen und der Geräuschpegel ist permanent hoch – da helfen auch noch so viele Schallschutzmaßnahmen nicht. Per se läßt sich die Sauerstoffqualität in Großräumen schlechter regulieren, das gleiche gilt für Lichtverhältnisse. Dies alles ist für viele Mitarbeiter, insbesondere jedoch für introvertierte, stark belastend und krankmachend. Mensch fühlt sich auf der persönlichen Ebene komplett eingeschränkt. Krankmeldungen nehmen zu, die Fehlerquote steigt und der Streßlevel steigt.

Anpassungskultur
Gibt es keine Feedbackgespräche zu diesem Punkt, erfahren Unternehmen kaum, was sie ihren Mitarbeitern antun. In Konzernen mit langen Betriebszugehörigkeiten herrscht zudem eine allgemeine Anpassungskultur. Viele Mitarbeiter sind in der Phase des „socialised mind“ (Entwicklungspsychologisches Modell Robert Kegan) und richten sich nach den Kollegen. Offene Kommunikation ist nicht en vogue. Für die Führungenden gilt das gleiche. Angst um den Job, den Status und die Position. Bei mehr als 6,5 Jahren Firmenzugehörigkeit, hinterlegt man seine eigene Meinung am Unternehmenseingang. Zugehörigkeitsdauer und Großraumbüros fördern die Anpassung erheblich. Diese gefeierte Errungenschaft der New Work läuft massiv den wirklichen Bedürfnissen der Belegschaft zuwider.

Würdigung der Persönlichkeiten
Gerade die Introvertierten, die Energie aus Rückzug und konzentrierter Arbeit gewinnen, werden zunehmend in der heutigen Arbeitskultur mißachtet. Bei Tieren spräche man im Übrigen von nicht artgerechter Haltung. Wie sieht es mit der Berücksichtigung unserer Persönlichkeit aus? Wird zum Beispiel im Rahmen eines MBTI® ein Mitarbeiter als „I“ identifiziert (oder klassifiziert?), bedeutet dies eher eine Stigmatisierung und zieht Verhaltensänderungen von Kollegen und Vorgesetzten nach sich. Vorurteilsfrei ist da kaum einer und schon gehört man, weil anders, nicht mehr so wirklich zum Team. Ein wertschätzender, reiferer und zeitgemäßer Umgang mit der Situation findet seitens der „E‘s“ nicht statt. Personalentwicklung nach den Big Five fördert folgende Persönlichkeitsstärken: mittlere Offenheit für Neues (Openess), hohe Gewissenhaftigkeit (Conscientiousness), hohe Extraversion, hohe Anpassungsfähigkeit (Agreeableness), niedriger Neurotizismus (Neuroticsm) – das ist das gängige Kommunikationsideal.

Moderne Kommunikation
Das eben beschriebene Mitarbeiterideal bedingt eine besondere Verhaltenskultur. Extrovertiertes Feedback bewertet Introvertierte einseitig nach extrovertierten Maßstäben. Den Feedbackgebern ist das unbewusst, denn sie können sich nicht vorstellen, das es angebracht wäre, unterschiedliche Regelments zu berücksichtigen. Und längst sind nicht alle Menschen reif für Feedbacks. Also, das Feedback nicht als Selbstaussage zu geben, sondern ehrlich bezogen auf die introvertierte Persönlichkeitslandschaft. Tiefe, Intensität und Zugewandtheit ist in der heutigen schnelllebigen Zeit lästig. Einfacher zu händeln ist da das extrovertierte Ideal.

Psychologische Diversität – wofür?
Wünschenswerte psychologische Diversität beinhaltet die Annahme der menschlichen Unterschiedlichkeit und die Erkenntnis, dass Schwächen Stärken sind und umgekehrt. Abhängig vom jeweiligen Standpunkt. So lange wir lieber kurzfristig über unser andersartige KollegenIn richten, statt ihn/sie als Ergänzung, Bereichung der eigenen Persönlichkeit zu sehen, verlieren wir alltäglich Ressourcen und treten Potenziale mit Füßen. Unterschiedlichkeit wird in unserer Welt immer wichtiger. Wir suchen nach extra-terristischen Lebensformen und haben selber keine intrapersonelle Kompetenz. Mit mehr Offenheit und Verständnis füreinander würden wir viel Gutes bewirken, politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich. Doch Diversitäten setzen dialektisches Denken voraus. Menschen müssen in der Lage sein, den Wert verschiedener Seiten zu erkennen und zu verbinden. Sie müssen sehen, dass die besten Lösungen immer aus einem Gleichgewicht entstehen. Gleichgewicht besteht wenn wir mit uns und der Welt im Fluß sind.

Future Pace
Als Coach und Körpertherapeutin, begegnen mir viele Menschen, die auf Grund äußerer Parameter täglich gegen sich und ihr Innerstes arbeiten. Eine gesündere Zukunft sehe ich nur, wenn wir lernen uns abzugrenzen und zu unseren Bedürfnissen zu stehen. Dies geschieht allein durch ehrliche Selbstreflexion. Denn das, was in uns ist, zeigt sich immer im Außen. So sind wir es selbst, die unsere (Arbeits-)Welt kreeiren. Und es ist die Verantwortung der Führenden (Manager, Politiker, Lehrende usw.) dies zuzulassen und zu fördern. Leider trägt jeder von uns mehr oder minder zur Systemerhaltung und Besitzstandswahrung bei. Bereits unsere Kinder werden zu Unfreiheit und Systemanpassung erzogen. Norm ist einfacher und die Hamsterräder sind weiter gut geschmiert. Ich plädiere für mehr Selbstbestimmtheit um eine bunte Diversität zu leben. Jeder von uns bleibt anders – nicht frei programmierbar.